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„Auch eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem Schritt.“
Lao-Tse (vermutlich 6. Jh. v. Chr.) eigentlich Laozi, nur legendenhaft fassbarer chinesischer Philosoph, Begründer
Was ist Psychoanalyse und was ist psychoanalytische Behandlung?

Psychoanalyse ist ein im Wesentlichen auf Sigmund Freud zurückgehendes wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Behandlung von seelischen Symptomen oder körperlichen Erkrankungen seelischen Ursprungs. (In der folgenden Darstellung beziehe ich mich auf das klassische Setting der Einzeltherapie, bei der ein Patient entweder auf einer Couch liegt oder auf einem Stuhl sitzt.) Heute würde man hinzufügen, dass auch schwere Beziehungskonflikte Anlass sein können, eine psychoanalytische Behandlung anzustreben. Der gemeinsame Nenner all dieser „Störungen“ ist das damit verbundene Leid, das Gefühl, in dem Erreichen eigener Lebensziele erheblich beeinträchtigt, unglücklich zu sein. Für ratsuchende Patienten ist es wichtig, zu wissen, dass psychoanalytische Therapieverfahren wesentlich darin bestehen, dass Patient und Therapeut miteinander reden, nicht mehr und nicht weniger. (Dramatische Inszenierungen von Konflikten wie etwa im Psychodrama oder Formen der Körpertherapie, der Einsatz von Hypnose oder bewusstseinserweiternde Drogen usw. spielen bei psychoanalytischen Behandlungsverfahren keine Rolle.)

Die Rolle des Therapeuten besteht darin, dem jeweiligen Klienten gegenüber neutral zu erscheinen und eigene Meinungen oder weltanschauliche Einstellungen zurückzuhalten. Es ist eine Frage des Gesprächsprozesses, ob ein Patient Vertrauen zu dem Therapeuten fassen kann oder nicht. Vertrauen, das Gefühl verstanden zu werden, sich gut aufgehoben zu fühlen sind Grundvoraussetzungen einer erfolgreichen Behandlung. Man könnte sagen: im Laufe des Gesprächsprozesses verwandelt sich der Therapeut in einen „vertrauten Fremden“.

Der Sinn bzw. das Ziel des Miteinanderredens besteht darin, dass der Patient im Laufe der Zeit selbst durch eigene Einsicht seine eigenen Ängste, die ihn im Alltag einschränken, entdecken und überwinden lernt. Die Gründe für solche Ängste sind nicht immer an der Oberfläche wie zum Beispiel bei Panikattacken, sondern bleiben häufig stumm und sind nur in ihren Auswirkungen, in besagten Einschränkungen oder quälenden Symptomen zu erkennen. Größere Angstfreiheit führt zum Rückgang der quälenden Symptome und zu mehr Lebensfreude und Liebesfähigkeit. Eine erfolgreiche Therapie besteht mithin darin, dass ein Patient sich durch eigene Einsicht angstfreier, d. h. in seinem Handeln, Empfinden und Wahrnehmen weniger durch Angst eingeschränkt fühlt.

Aber ich kenne doch meine eigenen Ängste am besten, könnte man einwenden. Bei diesem Einwand wird vergessen, dass bei vielen Symptomen und Krankheitsbildern die dahinter verborgene Angst gar nicht bewusst wahrgenommen wird, aber dennoch der eigentliche „Drahtzieher“ der Symptombildung ist und auch Regie führt bei Verstrickungen mit Mitmenschen, wobei ich unter Verstrickung verstehe, dass ein Patient sich in der Kommunikation mit seinem Umfeld häufig unverstanden fühlt.

Genauer formuliert ist das Ziel psychoanalytischer Behandlung, unbewusste Ängste in bewusste Ängste umzuwandeln. Dabei ist hinzuzufügen, dass unbewusste Ängste immer auf Kindheitsängste zurückzuführen sind. Eine erwachsene Person, die sich zum Beispiel vor eine Spinne fürchtet, nimmt dabei unwillkürlich eine Kindheitsperspektive ein. Die Beschäftigung mit frühkindlichen Erlebnissen im Rahmen einer Therapie sollte dazu führen, dass diese kindliche Perspektive überwunden werden kann und die beschriebenen Ängste dem Erwachsenen-Ich als maßlos übertrieben erscheinen. Damit verlieren die bisher unbewussten Ängste ihren drängenden, unabweisbaren Charakter und können dann im Alltag leicht überwunden werden.
Das Gemeinsame der verschiedenen psychoanalytischen Behandlungsformen besteht darin, dass sie keine Verhaltenstrainings sind und irgendwelche Formen der Suggestion, der manipulativen Beeinflussung oder gar der Indoktrination zu vermeiden suchen. Im Kern geht es darum, Selbsterkenntnis zu fördern. Damit wird das Bild der eigenen Persönlichkeit vollständiger, facettenreicher, kreativer, offener für neue Erfahrungen. Sie stellen eine Art Nachverarbeitung der unverarbeiteten Erlebnisse in Kindheit und Jugend dar, die – wie schon erwähnt - Quelle von Ängsten im Erwachsenenleben sind.

Aber warum benötigt man überhaupt einen Therapeuten? Gibt es nicht Menschen, die so selbstreflektiert sind, dass sie sich durch eigenes Nachdenken ihre Kindheitsängste und Konflikte vergegenwärtigen können? Reine Selbstreflexion kommt deswegen rasch an eigene Grenzen, da Kindheitsängste und Konflikte der Jugend immer etwas mit enttäuschenden oder einschüchternden Beziehungserfahrungen zu tun haben. Deswegen haben wir auch die Neigung, sie zu verdrängen. Ein verdrängtes Erlebnis ist dem Bewusstsein so ohne weiteres nicht mehr zugänglich. Aber es gibt auch den umgekehrten Prozess: die Tendenz, dass solche verdrängten Erlebnisse dem Bewusstsein wieder zugänglich werden. Nur in der Beziehung zu einem Therapeuten ist es möglich, die beschriebenen unglücklichen Beziehungserfahrungen im Rahmen der Beziehung zu dem Therapeuten nachzuerleben und nachzuverarbeiten.

Die ganze Vielfalt der körperlichen und seelischen Symptome sind mit einer verrätselten Sprache zu vergleichen, die Hinweise auf traumatische Erlebnisse oder enttäuschende Beziehungserfahrungen enthalten. Die Verdrängung bzw. Abwehr solcher Erfahrungen hat den Sinn, im aktuellen Leben das Wiederaufleben jener enttäuschenden oder schmerzhaften Beziehungserfahrungen zu verhindern. Sie steht also in den Diensten der Leidvermeidung. Solche verdrängten „Erlebniskomplexe“ haben die Tendenz, in entstellter Form Signale und Botschaften an das erwachsene Ich zu senden. Sie geben mithin Hinweise und verrätseln diese zugleich. Weiterhin haben solche verdrängten „Erlebniskomplexe“ ein fast dämonisch anmutendes Vermögen, sich in geeigneten aktuellen Erlebniskontexten zu reinszenieren. Auf diese Weise erleben wir häufig Wiederholungen von Beziehungsmustern, die wir auf bewusster Ebene mit aller Macht zu vermeiden versucht haben.

Um solche unverarbeiteten „Erlebniskomplexe“ aufzudecken, bedarf es einer vertrauensvollen und haltgebenden Beziehung zu dem/der jeweiligen TherapeutIn und einer Bereitschaft, sich auf das Abenteuer der Erkenntnis der rätselhaften Seiten der eigenen Persönlichkeit im Rahmen einer therapeutischen Beziehung einzulassen. Man könnte es mit einer Reise in bisher unbekannte Territorien der eigenen Persönlichkeit vergleichen.

Im den folgenden Abschnitten möchte ich kurz die einzelnen Therapieformen charakterisieren.

Gruppen-Psychotherapie: ein Mysterium

Meine Praxis bietet schwerpunktmäßig Gruppenbehandlungen an. Ein solches Angebot stößt bei den Patienten auf Skepsis. Daher habe ich versucht, die Wirkungsweise von Gruppenpsychotherapie möglichst lebendig und gleichnishaft zu schildern, damit interessierte Patienten eine realistische Vorstellung davon bekommen, was sie erwartet.
Voranschicken möchte ich, dass analytische Gruppen - ähnlich wie die analytischen Einzelbehandlung - keine vorgegebene Struktur hat, wie etwa eine Tagesordnung oder vorgegebene Themen, oder Blitzlichter usw. Es ist schwer, Außenstehenden davon einen angemessenen Eindruck zu vermitteln.
Die Bevorzugung dieses Settings hängt damit zusammen, dass nach meinen klinischen Erfahrungen Gruppenbehandlungen im Durchschnitt erfolgreicher sind als Behandlungen im Einzelsetting.

Die Gruppe ist eine Höhle: Sie spendet Geborgenheit, ruft frühe Kindheitserinnerungen an Geborgenheit oder auch Ungeborgenheit wach. Eine Atmosphäre von Sicherheit und Vertrauen ist Voraussetzung dafür, sich schmerzhaften Erinnerungen aus der Kindheit, Ängsten, Demütigungen, Missbrauchserfahrungen öffnen zu können. In einer haltgebenden Atmosphäre können Sie den einstigen Schrecken verlieren.

Die Gruppe ist eine Mutter und jeder einzelne Patient deren Kind: Viele Patienten sind in einer zu sehr vereinnahmenden, besitzergreifenden oder uneinfühlsamen, abweisenden oder gar verstoßenden Familiensituation großgeworden. Für sie ist die Empathie durch die Gruppenmitglieder oder den Leiter eine neue Erfahrung. Für viele Menschen ist dies eine neue Erfahrung, auf einer Gefühlsebene verstanden und wertgeschätzt zu werden und auf diesem Weg das eigene verborgene bzw. verletzliche Selbst entdecken zu können.

Die Gruppe ist ein erweiterter Raum deines Selbstes. Fragt man Expatienten, welche Besonderheit der Gruppe am meisten ausschlaggebend war für den erzielten therapeutischen Erfolg, dann sagt die überwiegende Mehrzahl: das Gefühl, dass man mit seinen eigenen Problemen nicht allein ist und andere Mitpatienten ähnliche Probleme haben und ähnlich offen darüber reden, wie man selbst. Die Scham, anders zu sein als die übrige normale Welt, spielt in diesem geschützten Raum kaum eine Rolle.

Die Gruppe ist ein Spiegelkabinett: Sie bekommen als Teilnehmer in einer Gruppe gespiegelt, wie Sie sich verhalten, wie andere Menschen Sie erleben. Aufgrund der Anzahl der Gruppenmitglieder sind die Spiegelreaktionen recht facettenreich. Auf diesem Wege bekommen Sie einen vollständigeren Eindruck, wie Sie auf andere Menschen wirken. In der Einzeltherapie ist ein solcher Facettenreichtum nicht möglich.

Die Gruppe ist eine Familie: Ich versuche, therapeutische Gruppen möglichst heterogen hinsichtlich des Alters, des Geschlechtes, der Symptomatik oder des sozialen Milieus zusammenzusetzen. Warum? Zunächst bildet die Gruppe auf unbewusster Ebene den Erlebnisraum einer Familie nach, weil – nach Möglichkeit - der Generationsunterschied und auch der Geschlechtsunterschied in der Gruppe repräsentiert ist. Die Gruppe bietet daher die Chance, Konflikte aus der eigenen Familie in der Gruppe nacherleben zu können, indem Patienten das Muster des Familienkonfliktes und die eigene Rolle in diesem Konfliktgeschehen unbewußt in dem Hier und Jetzt des Gruppengeschehens reinszenieren und auf diese Weise dem eigenen Versehen zugngänglich zu machen. Zudem bietet sie die Chance, die durch das jeweilige soziale Milieu geprägte Formen der Anpassung und Affektsteuerung zu reflektieren und sich aus der Enge der eigenen spezifischen familiären Sozialisation herauszulösen.

Die Gruppe ist ein Raum interkultureller Begegnung im weitesten Sinne: Ich bin in der glücklichen Lage, speziell in Frankfurt die Möglichkeit anzubieten, dass sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturen mit den entsprechenden kulturtypischen Problembelastungen einander begegnen. Die Erfahrung von Fremdheit, von Misstrauen vor dem Unbekannten und deren Auflösung ist ein hoher Anreiz, die eigenen festgefahrenen affektiven Prägungen zu „verstören“. Mitgebrachte rassistische Klischees und Vorurteile brechen sich in der Kleingruppe an gegenläufigen affektiven Erfahrungen. Unterschiedliche soziale und kulturelle Milieus verkörpern unterschiedliche Affektkulturen, deren Aufeinandertreffen in der Gruppe erstarrte eigene Reaktionsmuster verflüssigen und auflockern können.

Die Gruppe ist eine Gemeinschaft von Geschwistern: Mitpatienten sind in gewisser Weise aufgrund des gemeinsamen Schicksals im Gruppengeschehen wie Geschwister zueinander, wobei einzig der Gruppenleiter, aus dieser geschwisterlichen Ebene herausragt. Die geschwisterliche Liebe ist eine Ressource von Solidarität und ein Schutz gegen elterlichen Autoritarismus oder elterliche Vereinnahmung. Aber auch die Kindheitserfahrung, von den Eltern bevorzugt oder benachteiligt worden zu sein, kann im Gruppengeschehen nacherlebt werden. Einerseits ist die geschwisterliche Liebe das Lebenselixier einer Gruppe, andererseits können nur in der Gruppe häufig verleugnete Gefühle wie Rivalität, Neid und Eifersucht bearbeitet werden. Dies sind Themen, die in ihrer Bedeutsamkeit oft sehr unterschätzt werden und in der Einzeltherapie häufig unbearbeitet bleiben.

Die Gruppe ist ein Floß, das im Fluss der Zeit vor sich hin treibt: Hiermit spiele ich darauf an, dass die Gruppe im unbewussten Erleben der Teilnehmer „unsterblich“ ist. Patienten, die genesen sind, verlassen die Gruppe so wie man beispielsweise auch das Elternhaus verlässt. Der freigewordene Behandlungsplatz wird dann mit Nachrückerpatienten neu besetzt (sog. slow open group). Gelegentlich ist es auch nötig, dass bei neu eintretenden Lebensereignissen Patienten wiederkommen und erneut das alte Floß betreten, um sich eine Weile im Strom der Zeit weitertreiben zu lassen. Ein Gruppenpatient erlebt auf diese Weise, wie neue Bindungen entstehen und zugleich lieb gewordenen Bindungen im Trennungsprozess betrauert werden, und dennoch die Gruppe als „imaginäre Instanz der Geborgenheit“nicht verschwindet, sondern bleibt.

Die Gruppe ist ein Resonanzkörper: Durch die „Zusammenballung“ mehrerer Patienten auf kleinem Raum ist die emotionale Ansteckung, die Resonanz, dass gefühlsmäßige Aufeinanderreagieren außerordentlich intensiv. Auch ein passiver Patient, der vielleicht gerade kein Redebedarf hat, wird mitgerissen und angesteckt von den „vibrations“, die im Laufe der Sitzung entstehen. Diese Gefühlsintensität findet häufig in „Gruppenträumen“ einzelner Mitglieder ihren Niederschlag. Überhaupt nimmt die Traumaktivität von Patienten im Laufe des Gruppenprozesses an Häufigkeit und Lebhaftigkeit zu.

Die Gruppe ist ein Gerichtshof mit Zeugen speziell bei Themen sexueller Gewalt: Erlebte sexuelle Traumatisierungen sind heute noch genauso wie zu Freuds Zeiten sehr verbreitet. Das Sprechen darüber ist extrem schambelastet. Welches ist der geeignetste Rahmen, um beim Sprechen darüber von den Gefühlen der Scham entlastet zu sein? Intuitiv würden die meisten sagen, dass ein Gespräch unter vier Augen die denkbar höchste Vertrautheit ermöglicht. Aber: eine Zwei-Personen-Situation kann zugleich sehr intim sein, ohne Zeugen. Dies kann bei Patienten zu Gefühlen von Ohnmacht und Ausgeliefertsein führen. Das Sich-öffnen - verbunden mit ausreichendem Selbstschutz und ausreichender Abgrenzung - ist in der Zweiersituation ein oft schwieriger Balanceakt.

Wie ist es in der Gruppe? Ist eine Gruppe nicht erst recht überfordert, wenn ein Patient solche schambelasteten Erlebnisse preisgibt? Paradoxerweise ist dies häufig genau umgekehrt. Warum? Die Gruppe ist sowohl ein Ort der Intimität und als auch ein Ort der Öffentlichkeit. Sexuelle Gewalt wird nach bestem Vermögen von den Tätern verheimlicht. Wenn PatientInnen ihren MitpatientInnen in der Gruppe davon berichten, legen sie mithin Zeugnis ab von dem Erleben und Nachfühlen intimer Gewalt.
Dies bedeutet: in der Gruppe gibt es neben dem Opfer und dem Therapeuten auch die Gruppe der Zeugen. Die häufigen Zweifel, ob die erlebte sexuelle Gewalt nur eingebildet ist oder hinter einem Schleier von Unwirklichkeit verborgen ist, können am wirksamsten durch die Partei der Zeugen zerstreut werden. Damit ist die Szene der erlittenen Gewalt eine gemeinsam geteilte Realität.
Diese scheinbare Paradoxie umschreibt eines der eindrücklichsten und emotional aufwühlendsten Erfahrungen bei Gruppenbehandlungen. Die dritte Partei der Zeugen ermöglicht die Stärkung der inneren Selbstbeobachtung von traumatisierten PatientInnen und eine innere Distanzierung vom Tatgeschehen. Das Vorhandensein einer dritten Partei öffnet das Setting der Verstrickung zwischen Täter und Opfer.
Die Wahrheitssuche, was wirklich gewesen ist, ist dann kein einsames Herumirren mehr, sondern ein gemeinsames Erlebnis mit Zeugen. Und zudem: man sagt, ein Unglück kommt selten allein. Analog hierzu kann man sagen. Ein Opfer sexueller oder körperlicher Gewalt ist in Grupen selten allein Wenn sich erst einmal ein/e PatientIn geöffnet hat, dann fällt es anderen PatientInnen leichter, sich ebenfalls mit ähnlichen Ertfahrungen zu öffnen. „Geteilte Scham“ ist „halbe Scham“.

Die Gruppe ist die demokratischste Therapieform: Während in der Einzeltherapie ein Machtgefälle zwischen Therapeut und Patient besteht, die der Eltern-Kindbeziehung oder der Lehrer-Schülerbeziehung nachgebildet ist, ist in der Gruppe jeder Patient auch Helfer und Kotherapeut, um durch kluge Interventionen oder Einfälle andere Mitpatienten in ihrem Selbstverständnis zu fördern. Zugleich ist er/sie selbst aber auch Nutznießer dieser Bemühungen seiner MitpatientInnen. Auch hier kann ich sagen, dass eine Gruppe plus einem Leiter mehr Kreativität aufbringt, als ein einzelner Therapeut.

Die Gruppe ist eine Art Tiefsee: Hiermit möchte ich umschreiben, dass es ein fataler Vergleich wäre, die Gruppenbehandlung als etwas oberflächliches, gar als eine Art „kollektives Geplapper“ zu betrachten. Dem liegt häufig die Auffassung zugrunde, dass die eigentliche Tiefe eines therapeutischen Gesprächs durch die Interventionen des Therapeuten zustande kommt. Im beruflichen oder privaten Alltag sind Gruppen meist durch feste vorgegebene Rollen strukturiert.

Oder im Freundeskreis ist man unter gleich Gesinnten. Eine Therapiegruppe ist eine Gruppe von fremden Menschen. Es gibt keine vorgebahnten „Kontaktschienen“, keine gemeinsam geteilten Glaubenssätze oder Ideologien. Dies hat zur Folge, dass sich in therapeutischen Gruppen innerhalb kurzer Zeit ein dichtes Netzwerk von unbewussten Übertragungen und Appellen an die anderen Mitpatienten ausbildet und dieses Netzwerk zu einer gemeinsamen unbewussten Fantasie, einer unbewussten Gruppenfantasie, verschmilzt.

Die „Anarchie“, die durch die Vermeidung fester Rollen entsteht, führt dazu, dass die bewusstseinsfähigen Themen der jeweiligen Patienten eher in den Hintergrund treten zu Gunsten von bisher vermiedenen Themen. Die auf diesem Weg erreichte Regression in der Gruppe führt dazu, dass bisher verdrängte Erlebnisse einzelner Patienten dem Bewusstsein zugänglich werden. Hierbei spielen die beschriebenen Resonanzphänomene eine große Rolle. So werden in Gruppen oft Träume berichtet.
Viele PatientInnen träumen zum ersten Mal in ihrem Leben im Rahmen ihrer Gruppentherapie. Die Gruppe ermöglicht es, auf innige Weise, mit dem eigenen Unbewussten in Kommunikation zu treten und damit Zugang zu verdrängten Kindheitserlebnissen zu bekommen.

Die Gruppe ist ein Integrationsmotor: Die Mitpatienten, die der einzelne Patient „vorgesetzt“ bekommt, sind nicht nur im formalen Sinne fremd, sondern auch in vieler Hinsicht verschieden. Dies betrifft die unterschiedlichsten Symptome, Lebensstationen, Störungsgrade, aber auch sozialen Milieus, denen man jeweils entstammt. Hier denke ich nicht nur an unterschiedliche Schichten oder berufliche Identitäten, sondern auch an deutsche versus ausländische Mitpatienten. Spontan regt sich in einer solchen Gruppe das Gefühl, manche Mitpatienten nicht leiden zu können.
Die intime Kenntnis der Situation verschiedenster anderer Mitpatienten regt aber zu einer respektierenden, verzeihlicheren, empathischen Einstellung an, zu einem Zugewinn an Nachsicht und Toleranz. Durch diese Erfahrungen reifen auch Patienten in ihrer eigenen inneren Entwicklung, da sie auf diesem Weg lernen, sich selbst gegenüber toleranter, verzeihlicher und letztlich triebfreundlicher zu werden.

Die Gruppe ist ein halbiertes Psychologiestudium: Viele ehemalige Patienten berichten, dass sie auf rein kognitiver Ebene so viel über Gruppenprozesse und Symptomveränderungen bei einzelnen Patienten gelernt haben, dass sie diese Erfahrung nie mehr missen möchten und sie in ihrem Alltag oder in ihrer Berufswelt davon reichlich Gebrauch machen können.

Was die Gruppe nicht ist Die Behandlung in einer Gruppe ist keine „Massenabfertigung“. In dieser Vorstellung liegt das am meisten verbreitete Vorurteil gegen diese Behandlungsform. „Was soll ich den Therapeuten mit Mitpatienten teilen, wenn ich ihn in der Einzeltherapie für mich alleine haben könnte?“

Für die Zweifler sei gesagt, dass die analytische Gruppenbehandlung ein wissenschaftlich erprobtes Verfahren ist, das von der gesetzlichen Krankenkasse über einen Zeitraum von maximal 4 Jahren finanziert wird. Deren Effektivität ist durch viele wissenschaftliche Studien mittlerweile belegt worden. Ich selbst beteilige mich in Kooperation mit der Universität Kassel an einem Qualitätssicherungsprojekt, bei dem Patientinnen regelmäßig durch Ausfüllen von Fragebogen in ihrem Gruppenprozess begleitet werden. Die Teilnahme an diesem Projekt ist natürlich freiwillig. Mithilfe des Qualitätssicherungsprojektes (QSP) wird es möglich sein, den Erfolg von Gruppenbehandlungen mit dem von Einzeltherapien zu vergleichen. Vorläufig muss ich es mit meinem eigenen Eindruck bewenden lassen, dass ich persönlich im Rahmen von Gruppenbehandlungen im Durchschnitt bessere Resultate, z. T. erheblich bessere Resultate erziele als in Einzelbehandlungen.



Die Paartherapie

Dass Paare sich nicht mehr miteinander verstehen, obwohl sich einst sehr geliebt haben, klingt zunächst wenig plausibel. Kann es mehr Hochstimmung und Opferbereitschaft geben, wenn man verliebt ist? Paradoxerweise ist dies genau das Problem. In der Liebe begegnet man sich im buchstäblichen wie auch im übertragenen Sinne nackt. In keiner menschlichen Situation ist man mehr verletzbar als in der liebenden Hinwendung zum Partner/zur Partnerin. In früheren Zeiten wurden diese Konflikte eher unterdrückt oder verdeckt. Eine Scheidung galt als Makel, sodass die Zerrüttung von Ehen und Partnerschaften häufig geheim gehalten wurde. Heute werden Paarkonflikte offener ausgetragen. Eine Trennung oder Scheidung wird nicht mehr als so beschämend erlebt wie zu früheren Zeiten. Dies ist vor allem 5 Gründen zu verdanken, die miteinander in Zusammenhang stehen:

  • Durch die Tatsache, dass viele Frauen mittlerweile eigene Berufe haben oder zumindest auf eigene Berufstätigkeit zurückgreifen können, um vom Partner finanziell unabhängig zu sein. Die Arbeitswelt, die Karriere sind gegenläufige Kräfte, die das Liebesleben einschränken.
  • Durch die Entstehung der modernen inselartig isolierten Kleinfamilie ohne Kind oder mit ein maximal zwei Kindern. Der damit verbundene Funktionsverlust macht es notwendig, externe Ressourcen zur Daseinsvorsorge und zur Bewältigung des Alltags zu beanspruchen.
  • Dem wird heutzutage weitgehend Rechnung getragen, dass Betreuungsmöglichkeiten, vielfältige Formen der Unterstützung und Beratung für Säuglinge und Kleinkinder, für Schulkinder erheblich verbessert wurden. Daher sind Paare kaum noch durch äußere Zwänge zum weiteren Zusammenleben genötigt.
  • Der Rückgang der religiösen Bindung. Hierbei spielt die Vorstellung einer Wertegemeinschaft eine Rolle. Dies wirkt als stabilisierendes Moment, während Gefühle Schwankungen unterworfen sind.
  • Die Liberalisierung der Möglichkeiten sexueller Befriedigung. Neben den traditionellen „Sex-Märkten“ tun sich im Zeitalter der Digitalisierung nahezu unbegrenzt erscheinende Möglichkeiten auf, geeignete Sexualpartner zu finden.

Daher sind Zweierbeziehungen emotional entsprechend aufgeheizt mit Wünschen und Sehnsüchten. Entsprechend hoch ist das Risiko der Enttäuschung geworden. Die moderne Liebesbeziehung ist nicht nur überhitzt, sondern auch überlastet, weil nicht nur die Liebe auf der Tagesordnung steht, sondern auch der Wunsch nach wechselseitiger solidarischer Unterstützung. Die Frage von Fairness und Gerechtigkeit bzw. die Frage, ob die „Opfer“, die jeder der Partner in die Beziehung einbringt, gleichwertig sind, spielt daher eine bedeutsame Rolle. Gefühle und speziell die sexuelle Intimität auch in einer grundsätzlich liebevollen Beziehung sind starken Schwankungen unterworfen, sodass Krisen nahezu unvermeidbar sind. Nicht nur im Beruf, sondern auch im Bereich der Sexualität spielt das Ideal der Selbstverwirklichung eine große Rolle. Und diese Frage ist überlagert von der Sinnfrage, wenn der Alltag reizlos und sinnentleert zu sein scheint. Was mache ich hier eigentlich in dieser Beziehung? Tut sie mir noch gut? Vielfach wird der gesamtes Sinn des Lebens von einer geglückten Liebesbeziehung abhängig gemacht.

Eine bekannte Folge des beschriebenen Sachverhaltes ist, dass die Rate der Scheidungen speziell in den Großstädten erheblich angestiegen ist. Auch Krisen in der Partnerschaft werden einschneidender, ja existenzieller erlebt. Zwar wussten auch frühere Paare, dass fast alle Liebesbeziehungen auch Krisen durchleiden müssen. Dies verrät sich in dem alten Sprichwort „das verflixte siebte Jahr“. In modernen Liebesbeziehungen können Krisen in den unterschiedlichsten Entwicklungsphasen der Liebesbeziehung auftreten: wenige Wochen nach dem Kennenlernen, nach längeren Jahren, in denen die Liebe veralltäglicht, zur Gewohnheit wurde und reizlos geworden ist, oder wenn die Kinder erwachsen sind und ihre eigene Wege gehen.

Die Symptome einer Partnerschaft mit unbewältigten Beziehungskonflikten sind zahllos: endloser Streit, entnervende Langweile, psychosomatische Krankheit, Drogenmissbrauch, partnerschaftliche Untreue. Die gemeinsame Nenner dieser verschiedenen Symptome ist die Tatsache, dass der lebendige Austausch in einer liebevollen Beziehung in eine Stagnation geraten ist.

Wie „funktioniert“ eine psychoanalytisch orientierte Paartherapie? Was ist deren Besonderheit im Vergleich zu den übrigen Angeboten auf dem Markt der Paarberatung? Welches ist der wesentliche Unterschied zu einer Einzeltherapie? Die Partner kommen von Anfang an zu zweit. Ein Paartherapeut hat nicht zwei Patienten vor sich, sondern die Beziehung zwischen zwei Liebenden, die sich mittlerweile entfremdet haben. In der Position eines neutralen Außenstehenden verkörpert er die Hoffnung des Paares, durch klugen Rat die verloren gegangene Liebe wieder neu zu finden. Paartherapeuten sind gewissermaßen nicht Dialogpartner wie in der Einzeltherapie, sondern Dialogermöglicher. Sie fragen sich, warum das Liebespaar im in ihrem Gesprächen die Möglichkeit der Bewältigung aktueller Konflikte verloren hat.

Die psychoanalytische Paartherapie fragt, auf welchem unbewussten Fundament die Liebesbeziehung entstanden ist und inwieweit die unverarbeiteten Themen und Konflikte der jeweiligen Kindheit in der jeweiligen Herkunftsfamilien dabei hineinspielen. Die Geschichte der Liebesbeziehung zeigt regelmäßig, dass im Laufe der Jahre wechselseitig vermehrt unbewusste Kindheitsängste in den emotionalen Dialog eingeblendet werden und dann zu Kommunikationsstörungen und Entfremdungen führen. Im Kern sind es in erster Linie sexuelle Ängste und Konflikte. Sexualität ist hier nicht nur in engeren Sinne verstanden als Bereich körperlicher intimer Begegnungen, sondern auch im weiteren Sinne des vertrauensvollen Austauschs über alles und jedes. Ein sicheres Zeichen eines unbewusst gesteuerten Paarkonfliktes ist, wenn Gespräche auf der Stelle treten und dennoch die wechselseitigen Missverständnisse bleiben.

Wesentliche Themen in der psychoanalytischen Paartherapie sind mithin die unbewussten Grundlagen der Paarbeziehung, die Kindheitsängste im Laufe der Jahre unbewusst eingeblendeten sowie die Reflexion und Aufarbeitung der eigenen Verstrickung in die Herkunftsfamilie, die dort erfahrenen Vereinnahmungen, Ausstoßungen und Traumatisierungen.
Da der Therapeut nur den Dialog des Paares in ihrem Alltag erleichtern, verflüssigen, anreichern möchte, um die benötigte Wirkung zu erzielen, ist der Zeitaufwand für die Paartherapie geringer als in der Einzeltherapie. Im Durchschnitt behandle ich Paare jeweils eine Sitzung alle 14 Tage und insgesamt ca. zehn Sitzungen. 

 

Die Einzeltherapie

In der Presse oder in Filmen wird eine psychoanalytische Behandlung fast regelmäßig so dargestellt, dass PatientInnen auf einer Couch liegen. Freud, der Schöpfer der Psychoanalyse, hat seinerzeit Patienten fast ausschließlich auf diese Weise behandelt. Heute ist das nicht mehr so. Das Spektrum der angebotenen Therapieformen hat sich erheblich erweitert.
Im Rahmen der ersten Gespräche erörtern PatientIn und Therapeut gründlich miteinander, welche Anwendungsform der Psychoanalyse für die jeweilige Persönlichkeit in seinem aktuellen Leiden sinnvoll sein könnte. Dies betrifft die Entscheidung, ob der/die PatientIn dem Therapeuten gegenüber sitzt oder auf einer Couch liegt und der Therapeut hinter ihm sitzt. Desweiteren betrifft dies die Entscheidung, wieviele Stunden in der Woche und für wie lange Zeit ein/e PatientIn sinnvollerweise eine Therapie beanspruchen sollte. Das Spektrum reicht hier von 1-3 Beratungssitzungen über zeitintensive Kriseninterventionen bis zu Langzeitbehandlungen über mehrere Jahre mit 1-3 Sitzungen pro Woche.
Solche Entscheidungen hängen natürlich auch von äußeren Umständen des/der PatientIn aber auch des/der Therapeuten ab. In unserer heutigen Zeit ist Zeit ein kostbares Gut geworden. Hohe berufliche Anforderungen lassen es unter Umständen als äußerst schwierig erscheinen, dass Zeitfenster von Patienten mit denen der jeweiligen Therapeuten zur Deckung zu bringen.

Für Laien sind die verschiedenen psychoanalytischen Behandlungsmethoden und deren Namen völlig verwirrend. Dies hängt damit zusammen, dass die Krankenkassen als Kostenträger eine eigene Begrifflichkeit eingeführt haben, um die Behandlungen mit Therapeuten abrechnen zu können. Alle diese Namen, wie analytische Psychotherapie oder Tiefenpsychologische Psychotherapie haben rein kassenrechtliche Relevanz. Deren Bedeutung lassen sich am besten in einem persönlichen Gespräch klären.

Die Familientherapie

im Vergleich zu Paarbeziehungen sind Familien recht komplexe Gebilde. Aus diesem Grund ist die psychoanalytische Familientherapie die anspruchsvollste und am schwersten zu handhabende Therapieform unter den analytischen Verfahren. Man vergleiche die Zahl der Beziehungen:

  • Ein Paar besteht aus einer einzigen Dyade.
  • Eine Ein-Kind-Familie ist strukturell durch den Generationsunterschied geprägt und enthält 3 Dyaden und eine Triade. Die dritte Partei kann von den zwei anderen ausgeschlossen werden.
  • Eine Zwei-Kind-Familie besteht aus 6 Dyaden, 4 Triaden und eine Tetrade. Die Möglichkeiten der Koalitionsbildung und des wechselseitigen Ausschlusses sind hier schon hochgradig komplex. Strukturell kommt das Geschwistersystem als Dyade hinzu.
Als Lebensgemeinschaft, bei der Eltern auch Erziehungsverantwortung für die Kinder übernommen haben, ist ein wechselseitiger Verpflichtungszusammenhang gegeben, der bei Kindern nicht rückgängig gemacht werden kann. Auch wenn Eltern sich trennen, bleiben sie Eltern, die weiterhin Verantwortung für ihr Kind/ihre Kinder übernommen haben.

Die Liberalität unserer Gesellschaft sowie die Fortschritte der Fortpflanzungsmedizin haben vielfältige neuartige Familienkonstellationen hervorgebracht, die aber jeweils auch eigene Konfliktdynamiken haben. Noch stärker als bei Paaren kann man bei Familien verschiedenen Entwicklungsstadien mit jeweils spezifischen Krisenpotenzial unterscheiden.

  • Die Phase der Familiengründung, der beruflichen Positionierung nach Ausbildung oder Studium, wobei ein Kleinkind aufgrund von seiner Bedürftigkeit besonders viel Nähe und Zuwendung benötigt.
  • Ganz anders gestaltet sich das Familienleben, wenn Kinder in die Pubertät kommen und das Thema der Ablösung und Verselbstständigung der nun „halbstarken“ Kinder den Familienalltag beherrscht. Schulschwierigkeiten, berufliche Findungsschwierigkeiten, Identitätsunsicherheit sowie das Erwachen von bisher in der Intensität unbekannten sexuellen Fantasien und Wünschen können bei Heranwachsenden zu dramatischen Symptomen führen, zumal die Phase der Adoleszenz durch Verflüssigung bisher verfestigter psychischer Strukturen charakterisiert werden kann. Verschiedene Formen der Ablösung von den Eltern können das Familienklima belasten. Hier sei beispielhaft nur die Ausstoßungen oder die übermäßige Bindung eines Heranwachsenden erwähnt. Konflikte nehmen wir oft dramatische Formen an, da Heranwachsende durch auffälliges Verhalten oder geschickte Argumentation ein erhebliches Machtpotenzial über Eltern haben.
  • Und wieder anders sind die Herausforderungen, die Eltern zu meistern haben, wenn die Kinder das Haus verlassen haben, in Frieden oder Unfrieden. Das Alleinsein, das auf sich selbst zurückgeworfen sein als Eltern macht deutlich, dass den Kindern die Zukunft gehört, während man selbst als Elternteil dem Alter und dem Tod zu strebt. Auch fragen sich Eltern, ob Ihre Liebesbeziehung den bisherigen Anforderungen und Auseinandersetzungen standgehalten hat oder nur der Gewohnheit zuliebe, aus Angst vor dem Alleinsein im Alter O. E. Noch aufrechterhalten wird.
  • Ein in der Neuzeit bedeutendes Phänomen ist auch die sogenannte Patchwork Familie anzusehen. Sie entsteht dadurch, dass sich zwei Elternteile, die gescheiterte Liebesbeziehungen hinter sich haben, ineinander verlieben und die jeweiligen aus erster Beziehung stammenden Kinder in ein Problemfeld gespaltener Loyalität hineingeraten, vor allem dann wenn die Trennung von den ehemaligen Partnern besonders strittig gewesen ist.
Was kann eine Familientherapie leisten? Eine wichtige Aufgabe ist, eine Erstarrung der familiären Rollen sowie dysfunktionale Koalitionen, verdeckte Bündnisse, Ausstoßungsphänomene, erstickend enge Bindungen ohne Spielraum für den jeweils Betroffenen aufzuarbeiten und rückgängig zu machen. Eine besondere Rolle spielt ja auch die Drei-Generationen-Perspektive. Denn die Familienneugründung stellt eine Allianz zwischen zwei Herkunftsfamilien her, die jeweils mit ihren ungelösten Konflikten in das Zusammenleben der neu gegründeten Familie hineinspielen. Eine besonders destruktive Rolle spielen hierbei verschwiegene Erlebnisse und Familiengeheimnisse von Seiten der jeweiligen Eltern der Herkunftsfamilien. Im gleichen Gegensatz zu eher systemischen Ansätzen spielt die Erinnerung an die eigene Kindheit, die Kindheit des jeweiligen Partners und eventuell auch die Kindheit der jeweiligen Eltern eine zentrale Rolle. Familienrollen werden sozusagen durch Arbeit an der Erinnerung narrativ verflüssigt

Das familientherapeutische Setting ist ebenfalls - wie in der Paartherapie - weniger zeitintensiv als Einzeltherapie (ca. zehn Sitzungen alle 14 Tage) aufgrund der Rolle des Therapeuten als Dialogermöglicher. Natürlich möchte ich zu Beginn alle Familienmitglieder kennenlernen, es kann sich aber herausstellen, dass die weitere Arbeit auch mit Untergruppen der Familie stattfinden kann, etwa wenn Eltern ohne die Kinder eingeladen werden usw.

 

Einbezug von Angehörigen

eine Besonderheit in meiner Praxis ist die Tatsache, dass die Angehörigen von Patienten, also Partner, Kinder, Eltern in die Behandlung je nach Bedarf einbezogen werden. Auch in der Therapie eines einzelnen Patienten, sei es in der klassischen Einzeltherapie oder in der Gruppe hat man es nie mit diesem allein zu tun.
Durch die Schilderungen des Patienten sind Angehörige imaginär in den Schilderungen, sozusagen als „Phantome“ immer mit anwesend. An sich ist ursprünglich die psychoanalytische Behandlung so gedacht worden, dass es darum geht, die Innenwelt des Patienten, also seine subjektiven Sichtweisen auf die Dinge zu entfalten und ihnen möglichst breiten Raum zu geben. Diesem Anliegen stimme ich auch unumwunden zu. Es ist nur zu bedenken, dass die Angehörigen nicht nur Phantome bleiben, sondern gerade durch positive Veränderungen des Patienten, die sich in angstfreien Verhaltensweisen äußert, häufig äußerst irritiert oder gar alarmiert sind.
Häufig reagieren sie mit entsprechenden defensiven Gegenbewegungen, die dazu führen können, den errungenen therapeutischen Fortschritt eines Patienten zunichte zu machen.

Es ist leider so, dass es im interpersonellen Feld keine absolute Wahrheit und Objektivität gibt. Aussagen wie „Du bist zänkisch“ oder „Ich habe recht“ sind niemals objektive Aussagen, sondern Feststellungen, deren Plausibilität erst dann nachvollziehbar ist, wenn man den persönlichen Hintergrund einer solchen Aussage nachvollziehen kann. So gibt es Patienten, die in ihren Erzählungen ein projektiv stark verzerrtes Bild ihre Angehörigen liefern und häufig zu einer unbewussten Parteinahme der Therapeuten für ihre Patienten führen und sie dann gemeinsam von dem Weg der Arbeit am inneren Konflikt abkommen. Dies hat zur Folge, dass sich Angehörige durch die Behandlung verkannt, ja häufig diffamiert und verunglimpft fühlen.
Ganz besonders belastend ist der gern erhobene Schuldvorwurf. In konflikthaften Auseinandersetzungen ist der an den andern erhobene Schuldvorwurf eine Art Waffe, um selbst mit stolz erhobenem Haupt als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorzugehen.
Aus psychoanalytscher Sicht ist der Schuldvorwurf eine Kurzschlussreaktion. Dabei wird unterstellt, dass der Beschuldigte etwas vorsätzlich Böses oder Schädigendes dem Beschuldiger angetan hat. So verrückt das klingt, halte ich jeden Schuldvorwurf für unangemessen. Er entbindet von der mühseligen Arbeit, sich in die Hintergründe der anderen Persönlichkeit einzufühlen.

Die Arbeit mit Angehörigen ist einer Sichtweise geschuldet, dass ich das interpersonelles Feld eines Patienten so verstehe, dass die Angehörigen eigene, in sich stimmige Sichtweisen bzw. Perspektiven auf den jeweiligen Patienten haben. Hier sehe ich es als entscheidend für den späteren Therapieerfolg an, dass diese Perspektiven als in sich stimmig anerkannt und gleichberechtigt neben der Perspektive des Patienten gestellt werden. Erst dann kann man als Therapeut tieferen Einblick in das multipolare Konfliktgeschehen bekommen.
Dazu ist es notwendig, dass die Angehörigen, die durch den therapeutischen Prozess in eine defensive Position gedrängt wurden, rehabilitiert werden. Der Grundgedanke dabei ist, dass Veränderungen bzw. Heilung als gemeinsame Entwicklung von Patient und Angehörigen, als eine Art Koevolution verstanden werden, wobei der Patient - so verstanden - selbst nicht nur der Symptomträger ist, sondern in die Rolle eines Vorreiters gerät, dessen Symptome als Hinweise oder gar Alarmzeichen auf Spannungen im interpersonellen Feld verstanden werden.